Die Vermehrung von Rote-Liste-Pflanzenarten im Umweltzentrum
Grün und Wildnis? Passt! Grün und, sagen wir, alternativ auch. Aber Grün und Präzision? Auf den ersten Blick geben die beiden ein eher ungleiches Paar, keines will dem anderen hundertprozentig gerecht werden. Oder doch? Unsere Artenschützer*innen jedenfalls wären häufig schlecht beraten, nähmen sie die Dinge nicht so akkurat und präzise, wie es das Pipettieren und Pikieren von Samen und Jungpflänzchen nun einmal erfordert, um das Winzige irgendwann für jeden sichtbar zu machen. Lebensumstände bedrohter Arten zu erforschen und Möglichkeiten für ihren Erhalt zu finden, das gehört zu den Hauptaufgaben von Umwelt- und Naturschutzorganisationen. Das Umweltzentrum Dresden e. V. konzentriert sich seit einigen Jahren auf die Vermehrung bedrohter Pflanzenarten in der Sächsischen Schweiz und dem Osterzgebirgsraum.
Asperugo procumbens, das Scharfkraut oder Schlangenäuglein aus der Familie der Raublattgewächse
Vom Osterzgebirge ins Dresdner Labor
Besonders gut gelingt uns das mit den bei uns heimischen, aber vom Aussterben bedrohten Orchideenarten. Ob nun wunderliche Gesellen wie das Männliche Knabenkraut, die Grüne Hohlzunge oder der Mücken-Händelwurz - wir sammeln ihre Samen aus Reliktbeständen vor Ort und ziehen sie in unserem Orchideenlabor unter Idealbedingungen auf extra für sie angemischten Substraten an, bis die Jungpflanzen widerstandsfähig genug zur Wiederausbringung am Standort sind. Ganz Ähnliches geschieht mit den Samen weiterer Offenlandarten wechselfeuchter und trockenwarmer Standorte, wie z. B. Bergklee, Gottes Gnadenkraut oder Trollblume, die in der Projektgärtnerei des Umweltzentrums vermehrt und später ebenfalls an ihren ursprünglichen Standorten wieder ausgebracht werden.
Orchis Morio - das kleine Knabenkraut im Frühjahr in der UZD-Projektgärtnerei
Gehören blühende Orchideen-Bergwiesen noch zum Osterzgebirge?
Umfassende Erfolge hingegen bei den 5 Orchideenarten, so kann man die bisherigen Ergebnisse der Orchideen-Vermehrung in wenige Worte fassen. Die im Labor stattfindende sogenannte In-Vitro-Vermehrung des Saatguts, der grüne Daumen unserer Artenschützer beim Anmischen des jeweils optimalen Nährbodens für die Keimlinge und das Experimentieren mit den für die Orchideen überlebenswichtigen Mykorrhiza-Bodenpilzen haben allesamt zu überraschend positiven Ergebnissen geführt. Auch die Wiederansiedlung der Orchideen an ihren ursprünglichen Standorten hat zu deutlich aufgestockten Beständen geführt – die Bergwiesen des Osterzgebirges leuchten inzwischen in ihrer ganzen Pracht: lila, gelb und rosa.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – ein Männliches Knabenkraut noch keine Großfamilie
Dennoch dürfen diese ersten Erfolge über eines nicht hinwegtäuschen: Ob die Ansiedlungen „unserer Rote-Liste-Sorgenkinder“ tatsächlich als im Sinne der Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union erfolgreich einzustufen sind, zeigt sich erst, wenn sie auch in 5 oder gar 35 Jahren noch auf den Flächen heimisch sind und sich aus eigener Kraft weitervermehrt haben. Ob die Bedingungen an Bodengesundheit und Pflege der Wiesen dafür ausreichend gegeben sind, bleibt abzuwarten. Ein festes Pflegemanagement, das auch nach den Projekten auf den Wiesen durchgeführt wird, müsste sich nach dem Wachstumszyklus der Pflanzen und den Umweltbedingungen der Standorte richten. Die Mahd muss so geplant werden, dass sie nicht während der Blütezeit und der Samenreife stattfindet. Und um ein Monitoring oder eine Erweiterung der Artenvielfalt mit anderen vom Aussterben bedrohter Pflanzen gewährleisten zu können, braucht es immer wieder Folgevorhaben, und – genau: grüne Präzisionsarbeit in vielen Abteilungen auf europäischer Ebene.
Blick in die Zelle – die REM-Präzision des Petr Jan Juračka
Die Bilder des tschechischen Biologen und Fotografen Petr Jan Juracka sind Aufnahmen von Samen eines 19-Arten-Projekts, die unter dem Rasterelektronenmikroskop (REM) aufgenommen wurden. Wie bei der mühsamen Vermehrung dieser Samenkörnchen entscheiden auch bei ihm die „Liebe zum Grün“ und viele Stunden geduldige Präzisionsarbeit über das Ergebnis. Seine Bilder zeigen diesen Beginn eines neuen Pflanzenlebens in nahezu unwirklicher Schönheit.
Biodiversitätsziel der Europäischen Union für 2020
„Der Verlust an biologischer Vielfalt und die Verschlechterung der Ökosystemleistungen in der EU wird bis 2020 zum Stillstand gebracht und die biologische Vielfalt sowie die Ökosystemleistungen werden - so weit wie durchführbar - wiederhergestellt; gleichzeitig wird der EU-Beitrag zur Abwendung des globalen Verlusts an biologischer Vielfalt aufgestockt.“ (Quelle: http://www.bmub.bund.de/themen/natur-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/eu-biodiversitaetsstrategie/)